Logbook – Mit der Dash durch Europa

Das Logbuch dient Piloten zu Dokumentation und Nachweis der Flugstunden. Gleichzeitig ist es eine schöne Art, Erinnerungen wach zu halten. Geschichten aus dem Himmel über Europa.

„Air Berlin Four Eight Papa, Runway Two Three Left Cleared For Takeoff“. Start frei für unsere Dash 8 für die Piste 23L in Düsseldorf. Das Ziel: Zweibrücken. Dort findet heute das Landetraining für Julian, Bernhard und mich statt. Sechs Landungen für jeden von uns, das ist der letzte Abschnitt des Typeratings, also der Musterschulung für unseren Flugzeugtyp. Aber vor allem bedeutet es für mich – das erste Mal am Steuer eines echten Verkehrsflugzeuges. Ein langer Weg dahin.

Den ersten Kontakt zur Fliegerei hatte ich mit 11 Jahren. Im Sommer ’99 war mein Vater beruflich einige Wochen in Warschau, jedes zweite Wochenende ist er nach Hause gekommen. Freitagabends haben meine Mutter und wir Kinder ihn vom Flughafen München abgeholt, es war immer so spannend, die Anzeigetafel mit den vielen Flügen zu beobachten und zu sehen, wie Papas Flugstatus von „im Anflug“ auf „Gelandet“ und schließlich „Gepäck“ umgesprungen ist. Dann stieg die Aufregung jedes Mal, wenn die großen Sicherheitstüren auf und zu gingen bis Papa schließlich erschienen ist und wir ihn für ein paar Tage wieder hatten.
Der erste Eindruck von Luftfahrt – geprägt von Wiedersehensfreude und natürlich den Mitbringseln, die Papa für uns Kinder dabei hatte.

In dem Jahr begann ich auch, Modellflugzeuge zu sammeln – qualitativ sehr hochwertige Modelle der Firma Herpa, im Maßstab 1:500. Dadurch habe ich einen ersten Eindruck bekommen von Fluglinien weltweit und die verschiedenen Flugzeugtypen zu unterscheiden gelernt. Die Sammlung ist im Laufe der Jahre auf knapp 300 Modelle (und einen großen Modellflughafen) gewachsen, gewachsen ist aber ganz besonders meine Leidenschaft für´s Fliegen.
Und die haben meine Eltern sehr stark gefördert: Unzählige Fahrten zum Münchner Flughafen, Besuche von Museen und Messen, finanzielle Unterstützung beim Erweitern meiner Modellflugzeugflotte, Hilfe beim Erstehen von Fachliteratur und Flugkarten, Nachsicht beim Benutzen des Familiencomputers für den Flugsimulator, ein unglaublicher Besuch am Frankfurter Flughafen und noch vieles, vieles mehr.

Mein Vater hatte dabei die größte Belastung – viele lange Auto- oder Bahnfahrten, oft zu unchristlichen Zeiten, so mancher hoher organisatorischer Aufwand und oft beträchtliche finanzielle Unterstützung für meine Leidenschaft. Fast alle Ideen und Wünsche hat er mir erfüllt. Und trotzdem war ich als Jugendlicher oft eifersüchtig darauf, dass er so viel Zeit mit meiner Schwester verbracht hat – sie war im Fußballverein und er der Trainer – und ich hatte oft Angst, ihn zu enttäuschen, weil ich kein Sportler bin. Natürlich war das Unsinn und heute sind die vielen gemeinsamen Ausflüge und Unternehmungen wunderbare Erinnerungen.

Ich hatte das große Glück, dass unser Nachbar Gerhard Lufthansapilot war. Über die Jahre hat er mir bereitwillig unzählige Fragen beantwortet und seine Freude an der Luftfahrt mit vielen Erzählungen geteilt. Ich war jedes mal total nervös, wenn ich mit meiner Fragenliste auf dem Weg zu ihm war – und hinterher der glücklichste Mensch auf der Welt, wenn ich mit vielen Antworten und Anekdoten wieder nach Hause gekommen bin.
Er hat mich einige Male mit in die Werft am Münchner Flughafen genommen und organisiert, dass ich bei ihm im Cockpit mitfliegen durfte. Drei mal habe ich ihn begleitet – 2003 einmal nach Paris und ein paar Monate später nach Barcelona, 2006 nach Berlin. Das waren für mich überwältigende Eindrücke und dafür bin ich ihm bis heute dankbar.

Ich wollte also unbedingt Pilot werden. Nach dem Abitur 2007 habe ich mich natürlich bei Lufthansa für die Pilotenausbildung beworben – und wurde nicht genommen. Motorisch und emotional nicht geeignet, hieß es.
Was also tun? Der Einschätzung der Auswahlpsychologen vertrauen und einen anderen Beruf erlernen? Oder auf einer privaten Flugschule meinen Traum realisieren? Aber woher die knapp 70.000€ nehmen? Und was passiert, wenn ich hinterher keinen Job finde?
Schließlich fand ich eine Flugschule, die es in Kooperation mit einer Bank ermöglichte, einen Kredit ohne Bürgen zu bekommen. Es folgten unzählige, meist für alle nervenaufreibende Gespräche mit Papa und Monica, meiner Stiefmutter, darüber, ob ich das Risiko eingehen sollte oder nicht. Ich war schon so weit, auf Nummer Sicher zu gehen und ein Studium zu beginnen, da hat Papa ein Machtwort gesprochen: „Du machst jetzt diese Ausbildung und falls es wirklich schief geht, dann sind wir auch noch da und unterstützen Dich!“.

Mit dieser Absicherung entschied ich mich schließlich für die Ausbildung. Start sollte Mitte September 2008 sein, doch kurz vorher stand nochmal alles auf der Kippe: Die Vergabe des Kredits war an eine Fluguntauglichkeitsversicherung gekoppelt, die mir aber wegen einer kurz vorher erfolgten Operation an den Nasennebenhöhlen verweigert wurde. Ein Schock, ich wusste nicht weiter. Wieder einmal ist Papa für mich in die Bresche gesprungen: Mit meinem Fliegerarzt zusammen hat er die Versicherung überzeugt, mir die loss of licence zu gewähren, in vielen Gesprächen mit der Flugschule konnte er verhindern, dass mein Platz anderweitig vergeben wurde.

Mitte September 2008 ging es also endlich los: Ich wurde Pilot. Anfangs zwei Monate Theorie in Frankfurt, dann zwei Monate Flugtraining im kroatischen Zadar gefolgt von acht Monaten Unterricht in Frankfurt mit theoretischer Abschlußprüfung beim Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig. Danach nochmal acht Monate Flugtraining in Zadar und Rostock (die Flugschule ist in der Zeit umgezogen) und ein kurzes Simulatortraining in Berlin – nach 22 Monaten Ausbildung hielt ich meine Berufspilotenlizenz in der Hand.

2010 war für die Luftfahrt eine schlechte Zeit – weltweit wurden Piloten entlassen, alleine in Deutschland gab es gut 1000 arbeitslose Piloten. Piloten, die teilweise bedeutend mehr an Qualifikation und Erfahrung besaßen als ich. Ich hatte zwar eine Fluglizenz, aber noch kein type rating. Für jedes Flugzeugmuster muss man eine solche Musterberechtigung erlangen, die aus Theorieschulung, Simulatoreinheiten und dem abschließenden Landetraining besteht. Solange die in der Lizenz fehlt, ist man nicht viel wert für eine Fluggesellschaft.
Ich begann also, mich weltweit bei großen und kleinen Firmen zu bewerben, immer in der Hoffnung, dass der Bedarf so groß wäre, dass sie mich einstellen und auf einem Muster schulen würden. Fehlanzeige, auf knapp 200 Bewerbungen in aller Herren Länder erhielt ich lediglich acht Rückmeldungen, natürlich nur Absagen.

Ich begann am Münchner Flughafen zu arbeiten als Rampagent und war damit verantwortlich für die Koordination der Bodenabfertigung von Flugzeugen. Auch wenn es ein harter und schlecht bezahlter Job war, so habe ich viele Einblicke in Bodenprozesse bekommen und einiges, was ich in der Flugschule theoretisch gelernt habe, praktisch erleben können, etwa das Berechnen des Masseschwerpunkts, Interpretieren von Ladepapieren oder Umsetzen von Sicherheitsmaßnahmen.

Im Mai 2011 konnte ich bei der Flugsicherungsakademie in Langen anfangen, als Simulationspilot zu arbeiten. Auch Fluglotsen werden in Simulatoren ausgebildet und dafür braucht man „Piloten“, die die simulierten Flugzeuge steuern und den Sprechfunk mimen. Mit Fliegen hatte das wenig zu tun (denn das „Fliegen“ bestand darin, numerische Werte in das Simulationssystem einzugeben, sozusagen „Fliegen in Nummern“), aber wenigstens war es weniger anstrengend und besser bezahlt.

Im Januar 2012 habe ich denselben Job in Bremen angenommen. Der große Unterschied bestand darin, dass hier die Arbeit mit bereits ausgebildeten Lotsen in oft sehr interessanten Projektsimulationen stattfand – etwa das Training für die Verfahren am „neuen“ Flughafen Berlin-Brandenburg, Übungen zwischen Militärlotsen aus Wunstorf und den Anfluglotsen von Hannover, intern vorgeschriebener Notfallsimulationen und vieles mehr. Ich habe in der Zeit viel über Flugsicherungsverfahren und Luftrecht gelernt und hatte überdies die Gelegenheit, mich mit Lotsen auszutauschen und ihre Arbeit im Kontrollraum zu beobachten. Zu vielen Fluglotsen habe ich heute noch guten Kontakt und es kommt immer wieder vor, dass mich einer der ehemaligen Kollegen im Funk erkennt.
Bremen war auch privat eine gute Erfahrung – ich habe tolle Menschen kennengelernt, Freundschaften fürs Leben geschlossen und nebenbei als Organist in einer Kirchengemeinde gearbeitet, zu der ich ebenfalls bis heute gute Kontakte pflege.

Ende März 2014 schließlich der erlösende Anruf: Ich sollte am 7. April mein Typerating bei LGW beginnen, einer Firma, die für airberlin mit Dash 8 Q400 flog. Zwei Jahre vorher hatte ich das Auswahlverfahren für die Firma bestanden und schon die Hoffnung aufgegeben, dass es irgendwann noch klappt und nun war es so weit: Nach knapp vier Jahren Jobsuche, befristeten Arbeitsverträgen und existenziellen Ängsten konnte ich endlich anfangen, als Verkehrspilot zu arbeiten.
Meinen Typerating-Kollegen Julian kannte ich vom Auswahlverfahren, wir waren etwa in derselben Lebenssituation und sind im Laufe der Zeit gute Freunde geworden. Bernhard hatte schon 1000 Stunden Flugerfahrung auf einem anderen Muster und hat uns besonders im Simulator mit seiner Gelassenheit unterstützt. Nach einigen Wochen theoretischer Einführung in Fluggesellschaft und Luftfahrzeug und 14 Einheiten im Simulator bestanden wir schließlich unseren Simulatorcheck. Um das Typerating abzuschließen, fehlte also nur noch das Landetraining.

Weil Bernhard schon Flugerfahrung hatte, durfte ich in Düsseldorf starten und nach Zweibrücken fliegen, dort meine sechs Platzrunden und Landungen durchführen, danach saß Bernhard seine sechs Runden am Steuer und schließlich Julian, der zurückfliegen und seine sechste Landung in Düsseldorf machen durfte.

Ein unglaubliches Gefühl, endlich ein Verkehrsflugzeug zu steuern. Ein paar Tage später hielt ich meine frisch vom Luftfahrt-Bundesamt eingetroffene, aktualisierte Lizenz in Händen: Immer noch die Berufspilotenlizenz, jetzt aber zusätzlich mit der Eintragung DHC 8 COP/IR (also Copilot mit Instrumentenflugberechtigung auf dem Muster Dash 8). Ich war glücklich. Und stolz.

 

Der 2. Juli verspricht, ein schöner Sommertag zu werden. Schon nach dem Aufwachen eitler Sonnenschein und blauer Himmel und auch ich strahle: Heute ist mein erster Tag Supervision. Das Training im Liniendienst unter der Aufsicht von Ausbildungskapitänen. 60 Flüge muss ich unter Supervision absolvieren, danach ist der allerletzte Checkflug meiner Ausbildung geplant.

Dieser Teil der Ausbildung ist insgesamt sehr stressig: Für den Trainee, weil er mit so vielen neuen Eindrücken konfrontiert wird, eine steile Lernkurve nachweisen und überdies unzählige Fragen zu verschiedensten technischen oder prozeduralen Themen beantworten muss. Für den Trainer, weil das Training auf ganz regulären Linienflügen stattfindet und er sich nicht nur um den Trainee, sondern um die gesamte Besatzung und Flugdurchführung kümmern muss – und natürlich kann er, anders als im Simulator, nicht einfach anhalten, wenn der Azubi etwas falsch macht, sondern muss immer aufmerksam beobachten und gegebenenfalls schnell eingreifen.
Für die ersten 16 Flüge ist daher ein „safety pilot“ mit an Bord, ein zusätzlicher Mann im Cockpit (der auf dem sog. Jumpseat sitzt), dessen Aufgabe es ist, zu beobachten und Abweichungen anzusprechen.

Den Vormittag dieses 2. Juli verbringe ich mit „chairflying“, eine erprobte Methode zur geistigen Vorbereitung, bei der man auf einem Stuhl vor einem Cockpitposter sitzt und den kompletten Flug durchgeht – also alle Verfahren, Handgriffe, callouts, Briefings, Funksprüche, Eingaben in den Bordcomputer, Einsicht der zu erwartenden Navigationskarten, Durchgehen der zu erwartenden Anflüge und vieles mehr. 

Danach ein besonderes Highlight der persönlichen Vorbereitung: Das Anziehen der Uniform. Nach all den Jahren, die ich von dem Beruf Pilot geträumt habe, war es anfangs jedes Mal eine Freude, die Uniform anzuziehen. Außerdem konnte man sich in der airberlin-Uniform durchaus sehen lassen: Klassischer Schnitt in elegantem dunkelblau, dazu goldene Rangabzeichen und eine goldene Fliegerschwinge.
Man kann sich also gut vorstellen, wie stolz ich auf diese Uniform war und wie stolz ich sie getragen habe.
Mit dem Anziehen der Uniform aber vollzieht sich – zumindest für mich – auch immer eine innere Wandlung, dann werde ich vom Sohn, Bruder, Freund, Träumer, Musiker und schüchternen, sensiblen Sebastian zum Piloten Kern. Und natürlich sind das keine zwei verschiedenen Menschen, aber zwei Menschen in gänzlich verschiedenen Rollen. In diese neue Rolle hinein zu finden – und auch wieder zurück in die normale – erforderte viel Geduld und Erfahrung; aber es ist für mich heute noch spannend zu beobachten, wie ich mich verändere, sobald ich im Dienst bin.

Am Nürnberger Flughafen, besser gesagt im Crewraum, bin ich dann mehr als überpünktlich – ich möchte genug Zeit haben, um alle Informationen zu lesen, alle benötigten Dokumente auszudrucken und mich bestmöglich vorzubereiten. Vier Flüge stehen heute auf dem Plan, Nürnberg Hamburg und zurück und das zwei mal.
Mein Ausbildungskapitän an diesem Tag ist Bernd, ein Norddeutscher aus der Kieler Gegend und sein Leitspruch ist „Erst mal kein Stress“ – den ich mir natürlich trotzdem mache.
Der safety pilot ist mein Fliegerfreund Florian, mit dem ich schon zusammen am Münchner Flughafen als Rampagent gearbeitet habe – eine schöner persönlicher Umstand für diesen ersten Tag.

Nach dem Briefing mit der gesamten Crew werden wir schließlich zu unserem Flugzeug gefahren – der D-ABQI oder, kurz gesagt, der „Quebec India“
Ich soll die ersten drei Flüge selbst fliegen, bin damit für die Cockpitvorbereitungen zuständig, die ich Dank chairflying zügig und fehlerlos durchführen kann. Es folgt ein ausführliches Briefing über Abflugroute und Notfallverfahren mit dem Kapitän und dann – steigen das allererste Mal Fluggäste in ein Flugzeug, das ich steuern soll. Was für ein Moment!

Das Starten der Triebwerke fiel bei LGW dem fliegenden Piloten zu (in anderen Firmen macht das ausschließlich der Kapitän), das ist ebenfalls das erste Mal für mich, im wahren Leben diese 5071PS starken Motoren zum Leben zu erwecken – ein wahnsinniges Gefühl.

Schließlich rollen wir zu Startbahn, erhalten die Startfreigabe:
„AIR BERLIN SIX SEVEN ONE ZERO, RUNWAY TWO EIGHT CLEARED FOR TAKEOFF“
Bernd übergibt mir das Steuer mit den Worten „You have control“.
Ich bestätigt mit „I have control“.
Dann setzt er den Startschub, das Flugzeug beschleunigt bis zur Entscheidungs- und Rotationsgeschwindigkeit.
„V one, rotate“ lautet Bernds callout, für mich das Kommando, das Flugzeug auf 20° pitch (Längsneigung) zu rotieren – wir heben ab! Ich fliege ein Flugzeug. Ein richtiges Flugzeug. Mit Passagieren. Naja, an die Passagiere denke ich in dem Moment eigentlich überhaupt nicht, aber dieses Gefühl, einen Linienflug zu steuern, ist einfach überwältigend.
Für große Emotionen bleibt jedoch gar keine Zeit – der Flieger wird für den Steigflug konfiguriert, nach ein paar Meilen Richtung Westen fliege ich eine langgezogene Kurve Richtung Erlangen – ein Ausblick, den ich bis heute in Erinnerung habe – und schalte dann den Autopiloten an. Obwohl der Flug nach Hamburg eine knappe Stunde dauert, habe ich das Gefühl, keine Zeit zu haben. All die vielen Eindrücke, die Anzeigen, der Funkverkehr, der Ausblick. Für das Absetzen des Anfluges auf Hamburg brauche ich gefühlt ewig, auch für das Briefing. 
Der erste Anflug – eine Katastrophe: Mal bin ich zu hoch, mal zu tief, zu weit links oder rechts. Zu viel Schub oder zu wenig, das Flugzeug wird malträtiert und auch die Gäste müssen die eher unsanften Steuereingaben spüren. Schließlich landen wir, besser gesagt schlagen auf dem Boden auf – es fordert einiges an Übung, mit diesem Flugzeug eine sanfte Landung hinzubekommen. Übung, die mir natürlich noch fehlt.
Als wir an der Parkposition ankommen und die Gäste aussteigen, gibt mir Bernd feedback über den Flug, dann bereiten wir den Rückflug vor. Nach 35 Minuten sind wir schon wieder in der Luft.

Noch drei weitere Flüge stehen uns bevor. Vor dem letzten Flug steigt ein junger Vater mit seiner kleinen Tochter ein: Mathilde ist etwa 4 Jahre alt und möchte die Piloten sehen. Natürlich darf sie ins Cockpit, dort macht sie große Augen und bringt kein Wort heraus. Bernd sagt ihr, dass es schon ganz schön viele Knöpfe und Schalter hier gibt, darauf erwidert sie „Ja, aber in meinem Zimmer ist es nicht so schön aufgeräumt!“
Nach dem Flug trödelt sie etwas, damit ihr Papa und sie als letztes aussteigen müssen und flüstert der Flugbegleiterin zu: „Darf ich nochmal zu den Piloten?“ Natürlich darf sie, sie tanzt ins Cockpit und singt „Danke – für die schöne Fahrt – über Hamburg“. Und tänzelt wieder aus dem Cockpit heraus. Das erste Kind in meinem Cockpit, ein toller Moment.

Nach den Flügen besprechen Bernd und ich den Tag im Crewraum, er gibt mir hilfreiches feedback und viele Ratschläge, betont aber, dass er sehr zufrieden ist mit meiner Leistung und dass ich auf einem guten Weg bin. Weiter so!

Zuhause bin ich vollkommen erschöpft – aber glücklich.

Dieser Flug ist mein 15. Supervisionflug. Also der vorletzte, an dem ein dritter Mann im Cockpit vorgeschrieben ist. Dazu muss ich allerdings erst den „release“ für die nächste Phase bestehen, also einen Check. Diese Prüfung besteht darin, dass der Kapitän an einem Punkt im Reiseflug erklärt, er ist von jetzt an tot und kann nicht mehr helfen, ich bin für alles komplett alleine zuständig: Fliegen, Konfigurieren, Checklisten, Funk, Kommunikation mit den Flugbegleiterinnen. Einfach alles. Muss der Kapitän eingreifen, bin ich durchgefallen.

Dieser Tag war bisher insgesamt sehr herausfordernd für mich: Auf dem Flug zuvor musste ich in Düsseldorf durchstarten. Ich habe probiert, auf Empfehlung meines Ausbilders Christian, etwas mehr Schub für die Landung zu verwenden, damit sie sanfter wird. Naja, es war dann zu viel Schub, das Flugzeug schwebte in ein paar Metern über die Landebahn, und weil auch die längste irgendwann zu Ende ist, kam von Christian das Kommando „Go around!“. Durchstarten. Im ersten Moment funktionierte ich einfach, die Anweisungen und Verfahren kamen wie aus der Pistole geschossen. Als wir dann Luft unter den Flügeln hatten und den neuen Anflug vorbereiteten, der Stress abfiel, mir klar wurde, was wir da getan haben und mich die Emotionen einzuholen drohten – hat Christian das wohl gemerkt, mir auf die Schulter geklopft und einfach gesagt „Gut gemacht!“. Weitermachen.

Auf dem Flug von Stuttgart erwartet Christian von mir, meine erste Passagieransage zu machen. Ich habe mich minutenlang darauf vorbereitet, gezögert, nochmal nachgedacht, aber irgendwann konnte ich es nicht mehr weiter hinauszögern: westlich von Frankfurt habe ich dann meine erste Ansage in die Kabine gestammelt, etwa „Meine sehr geehrten Damen und Herren….. Hier spricht der Erste Offizier…. Mein Name ist Sebastian Kern und ich bin der Erste Offizier [achja, das hatte ich ja schon erwähnt]… auf unserem Flug nach Stuttgart…. Westlich von uns [naja, es war eigentlich ja östlich, aber links ist nun mal Westen] sehen sie die Skyline von Frankfurt… und die verbleibenden Flugzeit beträgt 20 Minuten. Das Wetter in Stuttgart: Leichte Bewölkung und 28° Celsius. Danke für Ihre Aufmerksamkeit“.
Ich bin durchgeschwitzt. Christian findet die Ansage vom Grundsatz gut. Alles andere ergebe sich. Danach spielt er toter Mann.

Ich bin also jetzt für alles alleine zuständig. Und es gelingt. Einmal sagt Christian, dass ich noch einen eingestellten Parameter ändern muss und ich denke schon, das war es jetzt mit dem Check – hinterher erklärt er mir, dass mir das selber im Landeanflug aufgefallen wäre, aber er wollte mir den zusätzlichen Stress ersparen. Es war schon fordernd, alles alleine zu tun, v.a. im Landeanflug das Flugzeug zu konfigurieren, die Checklisten zu lesen, den Funk zu meistern und schließlich den Autopiloten auszuschalten und ohne die standard calls des Kollegen zu landen – aber schließlich setze ich das Flugzeug das erste Mal wirklich sanft auf die Pist in Stuttgart auf. Christian und der safety pilot klatschen. 

Check bestanden. Wir fliegen zurück nach Düsseldorf, ab morgen muss kein dritter Mann mehr im Cockpit sitzen.

Meine 60 Flüge Supervision waren schnell vorbei – binnen eines Monats habe ich das Training absolviert, habe ein Grundverständnis über die Handhabe des Flugzeugs bekommen und von verschiedenen Trainern viele hilfreiche Ratschläge, Tips und Feedback bekommen.

Und heute ist es soweit – mein letzter Checkflug. 

Für die letzten beiden Flüge musste ich nach Düsseldorf, heute Nachmittag werde ich nach nach Nürnberg geflogen. Am frühen Abend ist Check-In für den Rest der Besatzung, im Crewraum treffe ich meinen Kapitän für den Tag: Daniel.
Wenig später trifft auch mein Checkkapitän Wolfgang ein. Er gilt als sehr strenger Prüfer, entsprechend nervös bin ich. 
Zwei Flüge stehen auf dem Plan: Von Nürnberg nach Wien und wieder zurück. Mit Wien habe ich keinen ganz einfachen Flughafen bekommen – zwei Landebahnen, großer Flughafen, in den frühen Abendstunden viel Verkehr und damit auch viele Anweisungen von den Losten und viel Funkverkehr allgemein. Aber mit Daniel an meiner Seite kann es nur gut werden – er ist ein Ruhepol für mich.

Die Flüge selbst sehr unspektakulär – auf dem Weg nach Wien fliege ich als „pilot flying“ das Flugzeug, den Rückflug bin ich der „pilot monitoring“ und arbeite dem Kapitän zu. Nach Nürnberg stellt Wolfgang mir viele Fragen, viele kann ich beantworten, einige nicht. Nach der Landung bin ich entsprechend nervös – habe ich bestanden? Wolfgang sagt kein Wort dazu. Daniel und ich beenden unsere Arbeiten im Cockpit, Wolfgang sagt immer noch nichts. Ich werde immer nervöser.
Dann verlassen wir den Flieger, Daniel und ich zuletzt. In der Cockpittüre klopft er mir auf die Schulter: „Gut gemacht heute!“ Er merkt mir meine Nervosität wohl an. Ich bin ihm dankbar.
Im Crewbus frägt eine der Flugbegleiterinnen, ob ich denn nun bestanden habe? Alle Augen richten sich auf Wolfgang: Der nickt. Mir fällt eine Last von den Schultern.

Daniel und der Rest der Crew verabschieden sich, Wolfgang und ich besprechen die Flüge und füllen die Prüfprotokolle aus. Dann ist Feierabend.

Das war´s – ich bin Pilot. Erster Offizier bei einer Airline. Endlich.

Heute Morgen ist es so weit – meine ersten Flüge „in Freiheit“ stehen an.

Nach dem Checkflug am Freitag habe ich den Samstag einfach nur genossen: Zur Feier des bestandenen Checkfluges lade ich sie zum Brunchen ins „Zeit & Raum“ in Nürnberg ein – ein gemütliches kleines Lokal am Ufer der Pegnitz, danach genieße ich einfach den herrlichen Sommertag mit dem Wissen, nichts lernen, nichts vorbereiten, einfach nichts tun zu müssen. Abends freue ich mich richtig auf den nächsten Tag.

Heute stehen vier Flüge auf dem Plan – zwei Mal Düsseldorf und zurück. Mein Kapitän ist Marcus, ein angenehmer und entspannter Kollege. Im Laufe der Jahre werden wir viele Flüge gemeinsam durchführen und interessante Gespräche führen.

Dass Marcus so ein angenehmer Kollege ist, wusste ich vorher natürlich nicht. Die Wochen und Monate nach dem Linecheck waren geprägt von einem großen Haufen erster Male – neue Kolleginnen und Kollegen aus der Kabine, neue Flughäfen, andere Regionen (italienischer Flugfunk ist manchmal eine Katastrophe!), die ersten Übernachtungen, die ersten standby-Dienste. Am spannendsten – und am auswirkungsreichsten für meine tägliche Arbeit – waren natürlich die Kapitäne, die ich neu kennenlernte.
Mit meinem Kumpel Julian – der inzwischen auch seinen Supervision beendet hatte – tauschte ich mich oft aus über die verschiedenen Kapitäne, auch andere FO-Kollegen haben wir ausgefragt über diesen und jenen Kapitän: Wie sind sie drauf, was sind ihre Eigenheiten, Vorlieben, Besonderheiten? Anfangs hatte ich Bauchschmerzen vor so manchen Flügen mit bestimmten Kapitänen, aber im Laufe der kommenden Jahre, mit wachsender Erfahrung, hat sich das gelegt. Im Grunde gab es bis auf wenige Ausnahmen kaum einen Kollegen, mit dem man es nicht gut aushalten konnte. Im Gegenteil sogar: Die meisten Kapitäne waren sehr angenehme Zeitgenossen, mit vielen habe ich tolle Gespräche geführt oder den ein oder anderen tollen Umlauf in interessanten Städten gehabt und von vielen Piloten konnte ich viel lernen, die meisten haben mir meine unzähligen Fragen (v.a. zu den Systemen unseres Flugzeuges) sehr gerne und kompetent beantwortet. Und dass ich selbst schon nach dreieinhalb Jahren Kapitän werden konnte, habe ich nicht zuletzt all meinen Kollegen zu verdanken, die mit mir ihr Wissen und ihre Erfahrungen geteilt haben.

Heute jedenfalls die ersten vier Flüge ein Freiheit. Es war ein ganz anderes Gefühl, zu fliegen ohne nebenbei unzählige Fragen beantworten zu müssen und unter Anspannung zu stehen. Ein tolles Gefühl. 

Die Frankenmetropole Nürnberg ist also meine erste Base. Für mich ziemlich ideal, weil im Großraum München meine Familie und langjährige Freunde wohnen, ich hin Frankfurt ebenfalls gute Freunde habe und ich praktisch in der Mitte wohne. Nach Bremen zu kommen, gestaltet sich etwas aufwendiger, aber das würde sich finden.
Meine erste „fliegerische“ Erinnerung an Nürnberg ist der August 2002, als mein Papa mit mir nachts mit der Bahn nach Frankfurt gefahren ist – morgens um 5 mussten wir in Nürnberg umsteigen, bei McDonalds gab es einen Kakao für jeden von uns und ich war vollkommen gespannt auf alles, was ich an dem Tag erleben sollte.

Nürnberg als Stadt empfinde ich als sehr interessant – eine wunderschöne, historische Altstadt, geschichtsträchtig auch die Rolle während und nach der Nazi-Zeit, gut bürgerliche Stadtteile im Norden und Osten, der Süden teilweise sehr asozial und gefährlich und im Westen das Städtchen Fürth.
Zum Leben ein hübsches Plätzchen, mit meinem Dienstplan aber eher schlecht vereinbar: Kaum Einkaufsmöglichkeiten nach 20 Uhr oder an Sonn- und Feiertagen, die Bars schließen früh. Der allgemeine Nürnberger auch nicht sehr empfänglich für „Externe“, in meinen zweieinhalb Jahren habe ich nur Kontakte zu Leuten von außerhalb geschlossen.
Hilfreich dabei war, dass ich anfangs in einer WG mit fünf anderen Leuten zusammengewoht habe, tolle Menschen, zu denen ich auch nach meinem Auszug noch guten Kontakt hatte und sich eine gute Freundschaft entwickelte.
Trotz aller Annehmlichkeiten, die mir Nürnberg bot, lebte ich nicht gerne dort und war an fast allen freien Tagen auf der Flucht in andere Städte. Und als ich nach knapp drei Jahren von Nürnberg nach Berlin umziehen konnte, hab ich das erste Mal einen Wohnort verlassen, ohne Bedauern zu empfinden.

Fliegerisch ist Nürnberg allerdings klasse: Mäßiges Verkehrsaufkommen, kaum Verspätungen im Anflug, gutes, zügiges Bodenpersonal. Eine Landebahn mit Ost-West-Ausrichtung und 2700m Länge, weit ausreichend für jedes Start- oder Landegewicht und der Überflug der fränkischen Alb in relativ geringer Flughöhe ist jedes Mal bezaubernd.
In Nürnberg bin ich 455 Male gestartet, 460 Mal gelandet, von Nürnberg aus habe ich einige Leute im Cockpit mitgenommen, in Nürnberg bin ich das erste Mal auf einer vollgeschneiten Bahn gelandet, von Nürnberg aus begannen viele Umläufe mit Übernachtungen in ganz Europa. In Nürnberg habe ich angefangen, zu fliegen, als Pilot zu arbeiten. Ein gewisser emotionaler Wert bleibt also doch.

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