Chronos und Kairos
Wenn eine Flugzeugbesatzung morgens den Dienst antritt, weiß sie ganz genau, wie lange der Dienst höchstens dauern darf. Das nennt sich maximale Flugdienstzeit, die ist europaweit einheitlich festgesetzt und unterliegt komplizierten Regularien. Während der Dienstzeit legt die Fluglinie unzählige Zeitparameter fest, Zeitpunkte und Zeitvorgaben, zu denen bestimmte operationelle Aufgaben erledigt sein müssen, etwa der späteste Zeitpunkt für das Ankommen am Flugzeug, ein exakt gestrickter Zeitplan für die Bodenabfertigung, Kontrolle von Überflugzeit und verbleibender Treibstoffmenge an bestimmten Punkten während des Fluges und noch vieles mehr. Jedes Besatzungsmitglied weiß also ganz genau, was es wann zu tun hat. Aber ist das im alltäglichem Leben ebenso leicht?
Die Bibel unterscheidet, wenn es um Zeit geht, zwischen chronos und kairos. Chronos bedeutet die messbare, vergängliche Zeit, eine Zeitspanne oder, im Speziellen, die Lebenszeit. Kairos hingegen bezeichnet einen günstigen Zeitpunkt für eine Handlung oder Entscheidung, im theologischen Sinne also einen von Gott vorgesehenen Zeitpunkt. Beide Begriffe finden wir zu Beginn von Prediger 3: „Ein jegliches hat seine Zeit [chronos], und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde [kairos].“ Auf unser Leben übertragen bedeutet es, dass wir eine begrenzte (Lebens-) Zeit von Gott bekommen, dass es während dieser Zeitspanne aber viele verschiedene Zeitpunkte gibt, zu denen verschiedene Dinge in unserem Leben passieren oder geschehen müssen – weil Gott sie so für uns vorgesehen hat. Einen solchen Zeitpunkt zu bemerken in unserer Zeit – gar nicht so einfach: Wir sind eingespannt in der Arbeit, haben Verpflichtungen im Privatleben, um uns herum Hektik und oft haben wir das Gefühl, keine Zeit zu haben, ausgelaugt oder überfordert zu sein. Und gerade dann ist es wichtig, einmal innezuhalten und in Kontakt mit sich und mit Gott zu treten und die Signale zu verstehen, die er uns schickt und zu verstehen, was gerade wichtig ist für mein Leben.
Ein anderes Problem ist das Gefühl für die Zeit, das Zeitempfinden. In einem Notfall an Bord hat die Besatzung fast immer den Eindruck, die Zeit verfliege geradezu, für den Fluglotsen am Boden dagegen scheint die Zeit unendlich langsam zu verstreichen, ehe er endlich weitere Informationen oder Anweisungen bekommt. Auch für Gott scheinen 1000 Jahre zu vergehen wie ein einziger Tag (Psalm 90,4), der Mensch aber wird schnell ungeduldig und zweifelnd, wenn er auf eine Antwort von Gott wartet. Eine Herausforderung für uns, in solchen Situationen gelassen zu sein und Vertrauen zu haben, aber das dürfen wir getrost, denn Gott gibt uns, was wir brauchen, zur rechten Zeit (Psalm 145,15).
Aus Gottes Hand erhalten wir unser Leben, unsere Lebenszeit auf Erden. Aus Gottes Hand bekommen wir Ratschlag und Führung, Hilfe und Ermutigung zum rechten Handeln und für die richtige Entscheidung für jeden Zeitpunkt unseres Lebens. Auf Gott dürfen wir unser ganzes Leben vertrauen und wenn wir das tun, dann können wir getrost sagen, wie es in Psalm 31,16 steht: „Meine Zeit steht in Deinen Händen“