Illusionen begegnen uns immer wieder im Alltag, ganz besonders optische Täuschungen. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist wohl die Kippfigur „Meine Frau und meine Schwiegertochter“ des britischen Cartoonisten William Ely Hill – abgebildet ist eine Frau, die man mal als reizende, junge Dame wahrnimmt, mal als faltige, alte Frau.
Illusionen gibt es in vielerlei Gestalt auch beim Fliegen. Die Auswirkungen dabei sind freilich gravierender als das Betrachten eines Bildes.
Aus Pilotensicht
Einfach erklärt, entsteht eine Illusion, wenn das mentale Bild, das wir uns von unserer Umwelt machen, und die tatsächliche Realität nicht übereinstimmen – eine falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit.
Die in der Luftfahrt relevanten Arten von Perzeption sind die optische Wahrnehmung, der Hörsinn und die Kinästhetik.
Etwa 80% der Informationsakquise unseres Gehirns entstammt dem Sehsinn – daher ist es nicht verwunderlich, dass Piloten vielfach optischen Täuschungen unterliegen.
Besonders in der ohnehin anspruchsvollen Landephase erleben wir Illusionen.
An vielen Flughäfen ist die Landebahn etwa 45 Meter breit, im Laufe der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, wie die Optik der Landebahn sich während des Anfluges verändert. Fliegt man dann mal eine breitere Landebahn an (mit 60 Metern Breite wie an den meisten internationalen Großflughäfen), so kann schnell der – falsche – Eindruck entstehen, dass sich das Flugzeug zu tief befindet, wir Piloten würden korrigieren und schlussendlich zu hoch anfliegen, was dazu führen kann, dass die verbleibende Landebahn nicht zum Abbremsen reicht; ein Durchstartemanöver ist in diesem Fall fast unausweichlich. Beim Anflug auf eine schmalere Bahn ist dann genau der umgekehrte Effekt sichtbar: Es kann der Eindruck entstehen, dass das Flugzeug zu hoch ist, der Flugpfad wird nach unten korrigiert, es besteht die Gefahr , vor der Landebahn aufzusetzen oder die Hindernisfreiheit zu verletzen.
Ein ähnliches Phänomen erleben Piloten bei Landebahnen mit Steigung.
So haben wir bei Bahnen mit positiver Steigung ebenfalls den Eindruck, zu hoch zu sein und korrigieren dann fälschlicherweise nach unten; bei negativer Steigung fliegen wir zu hoch an, weil wir der Illusion erliegen, dass das Flugzeug zu tief ist.
Bei nächtlichen Anflügen gibt es zusätzlich den „black hole effect“. Dieser entsteht, wenn zwischen dem Flugzeug und der Landebahn keine Bodenbeleuchtung zu sehen ist und führt wiederum dazu, dass Piloten ihren Flugpfad als zu hoch einschätzen und folglich dazu tendieren, zu tief anzufliegen.
Eine weitere optische Täuschung steht im Zusammenhang mit der vorherrschenden Luftfeuchtigkeit und ihrer Konsistenz, der sog. „fade-out“-Effekt. Bei zunehmender Luftfeuchtigkeit scheinen Gegenstände, ganz besonders beleuchtete wie Landebahnen, weiter entfernt, als sie tatsächlich sind. Generell gilt, je feiner die Wasserpartikel und je höher die Luftfeuchtigkeit, desto größer ist der Illusionseffekt. Beispielsweise scheinen bei Dunst Gegenstände also weiter entfernt als bei Schneefall.
Für Illusionen sorgt auch unser Gleichgewichtssinn. Die englische Fachliteratur unterscheidet dabei zwei Fälle, nämlich „somatogravic“ und „somatogyral illusions“.
Im ersten Fall entstehen Illusionen durch lineare Beschleunigung. So wird Beschleunigung entlang der Längsachse – besonders in der Luft – oftmals als wahrgenommen als Steigflug. Bei kleinen Sportflugzeugen zeigt der künstliche Horizont aufgrund des mechanischen Verhaltens von Gyroskopen kurzzeitig denselben Trend, was den Piloten in seiner Wahrnehmung fälschlicherweise bekräftigt; die Anzeigen in den Verkehrsflugzeugen sind heutzutage deutlich präziser.
Im zweiten Fall geht es um Illusionen durch Bewegung um die Hochachse. Bei langgezogenen Kurven, Vollkreisen oder sogar bei mehreren Warteschleifen kann der Eindruck entstehen, dass man weiter kurvt, obwohl das Flugzeug inzwischen wieder geradeaus fliegt; beim manuellen Fliegen kann das zur Folge haben, dass man – um den vermeintlichen Kurvenflug zu beenden – in die Gegenrichtung steuert und vom Kurs abkommt.
Als dritte Gruppe von Illusionen sind akustische Täuschungen anzuführen, ganz besonders in der Kommunikation. Diese besteht zu 55% aus Gestik und Mimik, 38% aus der Stimme und lediglich 8% bestimmt der Inhalt. Diese 8% machen aber in der Fliegerei fast die komplette Kommunikation aus – Gestik und Mimik sind kaum sichtbar und die Stimme wird über Mikrophone, Headsets, Lautsprecher und – beim Funk – durch atmosphärische Störungen verzerrt.
Häufig verbreitet ist ganz besonders der „expectation bias“, man hört also besonders das, was man erwartet zu hören, interpretiert das Gesagt gern in die erwartete Richtung und überhört gern die Teile der Botschaft, die man eben nicht erwartet.
Die Auswirkungen von Illusionen reichen von körperlichem Unwohlsein wie Schwindel über räumliche Orientierungslosigkeit bis hin zu Übersteuerung oder totalen Kontrollverlust über das Flugzeug.
Um das zu vermeiden, müssen Piloten alleine ihren Instrumenten vertrauen und das eigene Körpergefühl komplett ignorieren – was ausgiebiges Training und ein gewisses Maß an Erfahrung bedarf. Situative Aufmerksamkeit, das permanente Vergleichen und Hinterfragen von wahrgenommenen und tatsächlichen Parametern, sowie das Wissen um Illusionen unterstützen dabei zusätzlich.
Aus Psychologensicht
Jeder Mensch hat bestimmt schon einmal von optischen Täuschungen oder Illusionen gehört. Ein gutes Beispiel ist, dass viele Menschen Tiere, Objekte oder gar Gesichter sehen, wenn sie Wolken oder den Mond betrachten. Das ist natürlich nur eine Illusion. Doch warum spielt uns das Gehirn dort einen Streich? Wo liegt der Vorteil in einer offensichtlich getrübten Wahrnehmung der Umwelt?
Das Gehirn ist auf Effizienz getrimmt. Es sucht konstant nach Mustern, um möglichst rasch relevante Informationen aus der Umwelt zu bekommen. Manchmal meint das Gehirn dann ein Muster gefunden zu haben, welches allerdings nur zufällig entstanden ist und keinem realen Objekt entspricht. Interessant dabei ist, dass dies den hohen Einfluss vom Gehirn auf die Wahrnehmung zeigt.
Eine naive Vorstellung, dass ein Abbild der Umwelt über die Augen weitergeleitet wird und dann im Kopf fotoähnlich vorliegt (die Psychologie bezeichnet das als Bottom-up-Prozess), ist schlichtweg nicht ausreichend. Sämtliche Wahrnehmung wird nämlich zudem durch geistige Prozesse beeinflusst, was Psychologen auch als Top-down-Prozess bezeichnen.
Die eingangs erwähnte Suche nach Mustern beschreibt hierbei einen solchen Top-down-Prozess. Eine Suche nach Mustern kann übrigens auch praktisch sehr nützlich sein.
Beispielsweise erfassen Schachgroßmeister intuitiv und blitzschnell Situationen, in dem diese die Stellungen der Figuren aufnehmen, also ein Muster mental abspeichern und dann im Arbeitsgedächtnis damit hantieren. Dies kann analog auch auf den Piloten übertragen werden. So sieht der erfahrene Pilot, auch bei kurzer Betrachtung der Triebwerksanzeigen, ob dort ein Problem vorliegt.
Eine Effizienzsteigerung der Wahrnehmung soll zudem auch durch die Erwartungshaltung erzielt werden, ein weiterer Top-down-Prozess. Hierbei bereitet sich das Gehirn auf ein Objekt oder Umstand vor, da es ein auftreten dessen erwartet. Gefährlich wird dies dann, wenn Dinge auftreten, welche wir nicht erwartet haben. Beispielsweise könnte der Pilot an einem langen Tag mit vielen Flügen übersehen, dass die Fahrwerkskontrollleuchte zur Landung nicht grün geworden ist. Er hat möglicherweise diesen Fehler nicht erwartet, sodass das Gehirn ein fehlendes grünes Licht wahrnehmungstechnisch ausblendet. Um derartige Fehler möglichst zu vermeiden, werden zum Beispiel Checklisten angewendet, welche die Aufmerksamkeit auf kritische Systemfaktoren lenken.
All dies bedeutet, dass wir Menschen uns ein Abbild der Umwelt selber gestalten. Es liegt letztlich also kein objektives Bild der Umwelt im Gehirn vor, sondern vielmehr eine subjektive und gefilterte Komposition von Umweltmerkmalen. Dass es dabei zu Illusionen, optischen Täuschungen oder Wahrnehmungsfehlern kommen kann, ist eine nur zu logische Folge.