Manchmal gibt es keine Alternative zum Fliegen. Für manche Berufe gehört es dazu, um Geschäfte überhaupt zu ermöglichen. Privat bleibt oft keine andere Möglichkeit, um Verwandte besuchen zu können oder die kurze Urlaubszeit sinvoll nutzen zu können. Schlimm ist es dann nur, wenn man Angst vorm Fliegen hat.
Aus Pilotensicht
Fast wöchentlich haben wir an Bord mit Passagieren zu tun, die Flugangst haben.
Der Grad der Flugangst ist dabei sehr variabel – manchmal ist es lediglich ein gewisses Unwohlsein vor dem Flug, das sich verflüchtigt, sobald das Flugzeug abhebt. Manchmal ist es, wegen der Beschleunigung, nur die Angst vor dem Start. In vielen Fällen handelt es sich aber um ernst zu nehmende Angst vor dem Fliegen insgesamt.
Auch der Ausdruck dieser Angst ist von Gast zu Gast unterschiedlich. Manchmal haben sich die Gäste so gut im Griff, dass die Flugbegleiter überrascht sind, wenn die Person sich an sie wendet und gesteht, Flugangst zu haben. Ganz selten sind Passagiere panisch oder sogar hysterisch, fangen an zu weinen oder werden aggressiv, sobald sie an Bord kommen. In den meisten Fällen aber kann man die Angst erkennen und entsprechend Unterstützung anbieten, die gerne angenommen wird.
Diese Unterstützung ist ebenfalls sehr individuell und fordert von den Flugbegleitern viel Fingerspitzengefühl. Manchmal reicht schon ein beruhigendes Wort oder ein Glas Wasser, das Gefühl, dass man behütet wird.
In anderen Fällen hilft es den Gästen, wenn sie in der Nähe der Flugbegleiter sitzen können und während des Fluges Kontakt halten können. Der Sitzplatz spielt insgesamt eine wichtige Rolle für solche Gäste – manche fühlen sich ganz vorne oder hinten sicherer, andere am Fenster oder doch lieber am Gang und einige wollen nahe der Toilette sitzen – nur für den Fall.
Hilfreich ist es ebenfalls sehr oft, einen Besuch im Cockpit anzubieten. Die Piloten getroffen zu haben, vielleicht auch die ein oder andere Frage stellen zu können, gibt vielen Fluggästen das nötige Vertrauen, beruhigt am Flug teilzunehmen. Die Angst verflüchtigt sich dann zwar nicht sofort, aber die Auswirkungen werden etwas gemildert.
Es gibt Fälle, in denen sich Fluggäste entscheiden, das Flugzeug wieder zu verlassen. Sofern der Flieger noch auf der Parkposition steht, ist es relativ problemlos. Schwierig wird es, wenn man bereits auf dem Weg zur Startbahn oder gar in der Luft ist – dann liegt es alleine im Ermessen des Kapitän, umzukehren oder eben nicht.
Das ist in der Tat eines der schwierigsten Szenarios überhaupt: Einerseits bedeutet ein Zurückkehren zur Position Verspätung, verpasste Anschlussflüge, möglicherweise das Verpassen eines Slots und natürlich auch einen wirtschaftlichen Schaden. Andererseits kann man im Vorfeld nie einschätzen, wie sich ein Mensch mit so einer Angst verhalten wird. Und obendrein besteht die Möglichkeit, dass der Kapitän wegen Freiheitsberaubung angezeigt wird. Selten, aber es gab bereits Fälle. Die Anzeigen haben vor Gericht keinen Bestand gehabt, aber der Pilot war währenddessen seine Lizenz los.
Passagieren mit Flugangst stehen heute eine Vielzahl an Flugangstseminaren zur Verfügung, die effektiv und meist hilfreich sind.
Ich empfehle außerdem, dass man sich offen an die Besatzung wendet und angebotene Unterstützung annimt – es gibt keinen Grund, sich für seine Ängste zu schämen.
Ich selbst suche immer das Gespräch mit einem Flugangstpassagier. Dadurch kann ich einerseits sein Vertrauen gewinnen und versuchen, seine Ängste zu verstehen und abzudämpfen, Sachverhalte erläutern und Fragen beantworten; andererseits kann ich mir meine eigene Meinung über den Gast bilden und ihm aktiv helfen, zu entscheiden, ob er den Flug antreten möchte oder lieber nicht.
Bis heute übrigens habe ich jeden Passagier mit Flugangst sicher an sein Ziel gebracht.
Aus Psychologensicht
Beinahe jeder Mensch kennt sie, und in auch beinahe jedem Lebensbereich findet man sie: Ängste und Phobien. In der Luftfahrt findet man sie natürlich auch, dort als Flugangst bekannt.
Wer schon einmal geflogen ist, der hat bestimmt schon folgendes erlebt: ungewohnte Geräusche, dazu noch Turbulenzen und Wackeln des Flugzeugs, was nicht selten zu einem flauen Gefühl in der Magengegend führt. Dann beobachten wir aufmerksam die Flugbegleiter, welche stoisch vor jedem Start ihre Sicherheitschoreografie aufführen und später peinlich genau darauf achten, dass auch wirklich alle Passagiere angeschnallt, alle Tische hochgeklappt und alle Sonnenblenden oben sind. Hinzu müssen wir den Piloten im Cockpit, welche wir nur über die Lautsprecher kennengelernt haben, noch unser Leben in dieser eisernen Röhre anvertrauen.
Das unter dieser Perspektive bei vielen Menschen ein ungutes, ängstliches Gefühl entsteht ist vollkommen normal und wenig überraschend. Insbesondere Erst- oder Wenigflieger, welche die neuartige Umgebung Flugzeug wenig kennen, steigen natürlich häufig mit einem mulmigen Gefühl ins Flugzeug. Glücklicherweise baut sich aber in der Regel dieses mulmige Gefühl mit steigender Flugerfahrung ab – aber nicht bei jedem Passagier.
Flugangst, oder auch Aviophobie, wird zu den spezifischen Phobien, genauer situativen Phobien gezählt. Das bedeutet, dass Ängste auf bestimmte Situationen oder Objekte gerichtet sind. Im Falle von Flugangst entsprechend auf die Umgebung Flugzeugkabine.
Angst darf grundlegend nicht missverstanden werden, Angst ist per se nichts Schlechtes. Angst ist eine kulturübergreifende Emotion, genau wie Freude oder Trauer. Jeder Mensch auf der Welt kennt diese Emotionen. Der Sinn von Angst ist dabei gänzlich positiv: Sie soll uns vor möglicherweise körperlich schädlichen Situationen schützen. Was aber, wenn uns eine übertriebene Angst in harmlosen, unschädlichen Situationen überkommt? Dann spricht der Psychologe oder Arzt von einer Angststörung oder Phobie, einer psychischen Erkrankung.
Insbesondere Flugangst kann sich zu einer spezifischen Phobie entwickeln, welche mit einem hohen Leidensdruck und Beeinträchtigungsgefuehl einhergehen kann. Viele Berufe in der Gegenwart verlangen Flexibilität, sodass das Flugzeug genutzt werden muss. Wenn der Mensch aber unter hoher Flugangst leidet, dann muss dieser vielleicht gar den Beruf aufgeben.
Passagiere mit Flugangst, profitieren sehr durch eine feinfühlige Betreuung durch Flugbegleiter als niedrigschwellige Hilfe. Sich verstanden fühlen und auch zu wissen, dass andere sich über meine Angst bewusst sind kann bereits helfen. In schwereren Fällen empfehlen sich Seminare, welche in der Regel auch eine Konfrontation in vivo beinhalten. Das bedeutet, dass der Patient einen Flug gemeinsam mit Therapeut durchführen. Häufig wird das Seminar auch durch Informationen zur Entstehung von Ängsten aber auch Physik des Fliegens ergänzt. Neue Behandlungsmöglichkeiten ergeben sich auch durch neue Technologien. Beispielsweise wird an der Universität Würzburg untersucht, wie effektiv eine Konfrontationstherapie durch Simulatoren und Virtual Reality Brillen sein könnte. Insgesamt zeichnet sich die Konfrontation als sehr effektiv ab.
Allerdings sollte auch erwähnt werden, dass genauso wie wir uns in Körpergröße oder Haarfarbe unterscheiden, wir uns auch in Auftreten von Angst oder auch der Neigung zur Ausprägung von Phobien unterscheiden. Manche Menschen bauen schneller Ängste auf oder ab, manche Menschen brauchen weniger oder mehr Zeit. Selbst Menschen die jahrelang als Pilot oder Flugbegleiter gearbeitet haben sind vor Flugangst nicht gefeit. Schwerwiegende Ereignisse, wie beispielsweise eine Notlandung aber auch ein Flug mit starken Turbulenzen können Flugangst beim fliegenden Personal auslösen.
Flugangst ist ein häufig vorkommendes Phänomen, welches in in unterschiedlichsten Schweregraden und Formen auftreten kann. Demgegenueber stehen allerdings auch eine Vielzahl an Therapiemöglichkeiten, bei denen Betroffenen nachhaltig geholfen werden kann.